Montag, 7. Juni 2010
Bericht von der 2. Ideenkonferenz der Berliner SPD
Ich war am Samstag Teilnehmer der 2. Ideenkonferenz der Berliner SPD im Rahmen der Hauptstadtgespräche (Link). Thema: "Neue Industrialisierung"
Ich war neugierig auf das Thema, befürchtete aber, hier wieder einmal die üblichen Redner von IHK, Wirtschaftsförderung und Stadtmarketing zu treffen. Stattdessen standen eine Unternehmerin, eine Unternehmensberaterin, ein Volkswirt und ein Technologiezentrummanager auf dem Podium.
Es ging um den Nachfolger der "Kreativ"-Agenda, die Richard Florida vor einigen Jahren ausgelöst hatte und die in Berlin Resonanz gefunden hatte in dem Claim: "Arm, aber sexy".
Die SPD hat die Industrie wiederentdeckt. Als Anliegen und als Hort künftiger Wähler. Die SPD will die richtigen Fragen zum Thema neue Arbeit formulieren und dann Antworten finden. Vor allem aber will sie von den Mitgliedern und Bürgern wissen, wo neue Massenarbeitsplätze entstehen können.
Elektromobilität
Deshalb war ich ein bisschen überrascht, ausgerechnet hier eine Vertreterin von McKinsey (Dr. Katrin Suder) zu finden. McKinsey hatte doch jahrelang den schlanken Staat und Deregulierung gepredigt. Verärgert wurde ich, als ich deren neue Berlin Studie in die Hand nahm und las, dass Elektromobilität ein lohnendes Thema für Berlin sei. Die Idee hatte ich schon vor zwei Jahren. Nicht nur als Thema für Berlin, wo diese Autos eingesetzt werden können. Sondern auch für das umliegende Brandenburg mit seinen Windparks, die diese Autos speisen könnten. Vor zwei Jahren antwortete mir die Senatsverwaltung, Elektroautos seien ihr zu gefährlich, weil die sich lautlos an Fussgänger heranschleichen.
Wenn McKinsey so etwas vorschlägt, dann muss was dran sein. So tickt leider auch die Landespolitik. Im Vorwärts lese ich dann auch, dass Berlin Modellregion für Elektromobilität werden will. Doch Michael Müller, der Vorsitzende der Berliner SPD sagt auf dem Podium: Wenn es nach ihm ginge, sollte man für Entfernungen unter 100 km überhaupt kein Auto benutzen. Egal ob elektrisch oder benzingetrieben. Ist er damit nun schon wieder ganz vorne oder hinten dran?
Jedenfalls war das nicht die einzige Gegendarstellung an diesem sonnigen Tag im Charlottenburger Ludwig-Ehrhard-Haus.
Jedenfalls gibt es für Berlin auch gute Nachrichten: Nach Schließung des Flughafens Tegel ist dort ein Entwicklungszentrum für Elektromobilität geplant. Und Daimler wird seine Elektromotenproduktion nach Marienfelde verlagern. Und auch Continental baut seinen Batteriestandort zur Entwicklung von Energiemanagementsystemen aus. Hier entstehen eine Menge Optionen für Ingenieure in Berlin. Und das ist wirklich gut so!
Fährt lieber Bahn: SPD-Landeschef Michael Müller
Die zweite Gegendarstellung ging so: Als der VWL-Professor erklärte, den kreativen Existenzgründer von heute finde man mit dem Laptop im Cafe, weil er da am besten auf neue Ideen käme, da stellte die Köpenicker Unternehmerin Gabi Grützner von der micro resist GmbH klar: Es sei schon sehr lange her, dass sie mit ihrem Laptop in einem Cafe gesessen habe. In der Regel müsse sie täglich im Büro oder bei ihren Kunden Probleme lösen und Antworten finden...
Kurze Geschichte der Wirtschaftsförderung
Nach der Industrie- kam die Dienstleistungsgesellschaft. Politiker und Gewerkschaften sahen darin die einzigen Arbeitsplätze, die man nicht in andere Länder auslagern kann, weil Dienstleistungen immer direkt am Kunden erbracht werden müssen. Doch die Dienstleistungen arteten aus: Für die "Gewerblichen" (ein unzulässig eingrenzender Begriff, ähnlich wie "Bürgerliche") in Niedriglohnjobs, für die Akademiker in dekorierter Leiharbeit (sprich: "Beratung"). Der Vorteil war: Dienstleister halten sich selbst über Wasser. Man kann auch Gewinn mit ihnen machen. Aber richtig abheben, the next big thing, kann man mit ihnen nicht so richtig.
Dafür braucht es doch Produkte. Aber nicht solche, die es schon gibt und mit denen man nur im Preiskampf steht. Deshalb erfand der amerikanische Soziologe Richard Florida die "kreative Klasse". Nur der Kreative erkennt neue Bedürfnisse und entwickelt dazu passende, neue Produkte. Also setzten -auch in Deutschland- immer mehr Regionalpolitiker auf diese kreative Klasse, von der sie glaubte, sie entwickle ihre Ideen in Cafes an ihren Laptops.
Doch auch das zündete nicht so richtig. Berlin z.B. blieb arm, wenn auch sexy. Irgendwann muss denen einer geflüstert haben, dass massenhaft neue Arbeitsplätze nur entstehen, wenn man sich wieder zur industriellen (also produktorienterten) Wirtschaft bekennt.
Gewerke statt Dienstleistungen
Der Clou dabei ist: Die gleichen modernen Berufe können sowohl Dienstleistung als auch Industrie. Der Auftragsprogrammierer, der seine Stunden abrechnet, aber auf die Schutzrechte an seinem Gewerk verzichtet, kann genau so gut, Standardprodukte entwickeln und diese als lizenierte Kopien in die Welt verkaufen.
Das Neue daran: Hierzu sind Investitionen erforderlich. Und hierzu wiederum Eigen- oder Fremdkapital. Mir fiel eine alte Diskussion mit Tom und Egon im Grunewald ein: Warum müssen private Anleger immer in anonyme Fonds investieren? Warum kann man als Berliner nicht gezielt in Berliner Unternehmer investieren? Diese Frage stelle ich auf der Ideenkonferenz am Samstag.
Die Antworten vielen gemischt aus: Die McKinsey Beraterin nickte heftigt. Die Unternehmerin schüttelte den Kopf: "Nee, wenn Sie einen Tip von mir wollen: Holen Sie sich bloß keine Mitbestimmer ins Haus. Bleiben Sie selbstbestimmt. Ich habe mit den Berliner Banken gute Erfahrungen gemacht, auch in der Finanzkrise." Das einzige, woran es ihr wirklich fehle, seien gute Vertriebsleute. "Ein guter Ingenieur ist eben nicht automatisch auch ein guter Verkäufer." - Und genau diesen Bedarf hatten Prof. Fricke von der TFH Wildau und ich schon vor fünf Jahren erkannt, als wir als Entsandte von der IHK Frankfurt/Oder einen runden Tisch "Vertrieb für Technologieunternehmen" aufsetzten. Das Thema ist wohl immer noch akut..
Fazit
Jedenfalls habe ich am Samstag folgendes gelernt:
- Die Berliner SPD hat die Industrie wiederentdeckt - anstatt Schornsteine soll die neue Industrie aber grün und kreativ sein.
- Berliner Unternehmen denken anders als Investmentbanker: Keine Fremdgesellschafter und keine Exitpläne.
- Der Berliner SPD Vorsitzende ist nicht auf McKinsey Linie. Wird wohl nie ein Elektroauto kaufen sondern lieber Bahn fahren.
Noch ein Tip:
Etwas ausführlicher mit den Kreativen in der Industrie habe ich mich in einem Gastartikel bei den Ruhrbaronen auseinandergesetzt: Link
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