Wer etwas mehr Lebenserfahrung hat kennt von Zeitgenossen mit weniger Erfahrung aber mehr Geltungsbedürfnis dieses Phänomen. Sie beschäftigen sich zum ersten Mal tiefer mit einer Sache und meinen anschließend, sie erfunden zu haben. Und rennen dann herum um jedermann ungefragt an ihrer Weisheit teilhaben zu lassen. Der Dunning-Kruger Effekt beschreibt die verzerrte Selbsteinschätzung inkompetenter Leute, das eigene Wissen und Können zu überschätzen.
Ganz anderes die Leute, von denen ich im Laufe der Jahre gelernt habe. Indem sie immer mehr lernten erkannten sie vor allem, dass man nie auslernt. Und umso zurückhaltender sind sie in Diskussionen. Sie klinken sich höchstens ein, wenn sie neue Details hören, die selbst sie noch nicht kannten. Es ist ihnen egal geworden, wie andere über eine Sache denken. Denn die meisten Leute geben ja doch nur wieder, was sie bei anderen gelesen oder gehört haben. Ohne Reflexion. So etwas langweilt nur.
Wir zogen vor 20 Jahren nach Berlin. Und ein halbes Jahr später gab es den 11. September. Wir trafen uns abends mit Freunden, die "schon länger hier lebten". Und wir besuchten "Themenabende" der Parteien. Und da wurde mir schnell klar, dass ich gar nichts weiß. Ich versuchte zwar stets mich mit Zeitungslektüre auf Ballhöhe zu halten, aber das reicht beileibe nicht. Man kennt zwar grundlegende Zusammenhänge und damit schon mehr als die meisten anderen. Aber man kennt eigentlich nur gefärbte Zusammenfassungen.
Heute ist es noch schwieriger, weil man die meisten Tageszeitungen eigentlich vergessen kann. So wie die meisten Berufe inzwischen ziemlich heruntergekommen sind und jeder für alles schnell angelernt wird, denn es muss ja nur bis zum nächsten Quartalsbericht oder zur nächsten Finanzierungsrunde reichen, gilt das auch für den Journalismus.
Und es gilt ganz besonders für Politiker. Wie Angela Merkel, Jens Spahn und Markus Söder vor die Kameras getreten sind, das spottete wirklich jeder Beschreibung. Sie hatten auf dem "Impfgipfel" offenbar zum ersten Mal gehört, wie ein Unternehmen funktioniert. Dass da geforscht, entwickelt, getestet und dann produziert wird. Dass da Rohstoffe reingehen und dann produziert und dann geliefert wird. Jens Spahn hat sogar gelernt, dass Impfmittelhersteller Pumpen einsetzen und in der jetzigen Phase könne "jede kleine Pumpe, die ausfalle, zu einer Lieferverzögerung führen".
Ja, liebe Kinder, so ist das nun mal in der großen weiten Welt. In der Welt da draußen in den Laboren und Fabriken. Jens Spahn weiß, dass die meisten Deutschen nichts davon wissen, und deshalb erklärt er es ihnen stolz.
Während dessen gibt Markus Söder seine "Insights" (so nennen seine Berater sicher dass, was er jetzt zu haben meint) zum Besten. Söder sagt, weil man an den Lieferverzögerungen nichts machen könne "muss man halt jetzt zum Erwartungsmanagement greifen".
Und davor, vor allen Leuten, die sich anmaßen sich selbst für Journalisten zu halten, erlaubte sich die Kanzlerin verbale Unverschämtheiten, die selbst für ihre Maßstäbe ungewöhnlich waren.
Sie sagte, der Austausch mit den Herstellern habe "mehr Realismus" in die Debatte gebracht und "Wunder dürfe man jetzt nicht erwarten".
Meint sie einen Realismus, den es vorher nicht gab, als sie Spahn das Zepter aus der Hand nahm um es unserer allseits anerkannten Beschaffungsexpertin Ursula von der Leyen zu geben? Meint sie mit "Wunder", dass wir von der EU Kommission die Performance, die USA, UK und Israel vorgelebt haben?
Es gibt Leute, die fühlen sich provoziert, wenn man von ihnen Qualität erwartet. Und die wissen immer, wenn sie schützend vor sich zerren können. Kritik? Bitte hier entlang, dort sitzen die Hersteller. Erwartungen? Oh, die müssen sie bei sich selbst beeinflussen.
Merkel erklärte uns dann bis zur Erschöpfung wie das ist mit den Ampullen und ob die jetzt "immer gleich geliefert werden oder am Ende der Woche". Wenn sie einen Satz beendete, wusste niemand (inklusive sie selbst) mehr, wie der Satz begonnen hatte.
Aber der Prozess stimmt. Und der "Nationale Impfplan" wird jetzt abgeleitet aus der "Nationalen Impfstrategie".
Gott sei bei uns.
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