Unser Eindruck, dass er anfangs gezögert und verharmlost habe stammt von seiner grundsätzlichen Position, dass die Politik Maßnahmen immer erst post-mortem ergreifen sollte. Da bezog er sich selbst sogar ein. So sagte z. B. er würde selbst jetzt noch nach Italien fahren. Und er halte Einreiserestriktionen und Reisewarnungen für nicht angebracht.
Korinna HennigWir haben gestern darüber gesprochen: Sie haben gesagt, Reisewarnungen innerhalb von Europa ma- chen gar keinen Sinn. Wie ist es bei Ihnen persönlich? Würden Sie jetzt nach Italien reisen?Er begründet das mit dem Unwissen über die Infektionsherde oder auch deren Größe. Für ihn stand nie die Vorsorge im Vordergrund sondern die Abwägung der Auswirkung einer Maßnahme gegenüber den Fallzahlen (und nicht deren Dynamik). Auch interessier ihn das Virus generell mehr als dessen Auswirkung.
Christian DrostenJa, also, ich würde natürlich nach Italien reisen. Ich glaube nicht, dass die Infektionsdichte so hoch ist, dass man sich rein zufällig schnell infiziert.
So interessierte ihn Ende März die Quelle der Viren in Heinsberg, München und Norditalien mehr als die Dynamik der Verbreitung. Er wollte Ende Februar vor allem wissen, ob wir es in Europa mit eingeschleppten Viren aus China zu tun haben oder mit einer weiteren Virusquelle, z. B. in der Lombardei.
Und ähnlich seine Meinung zu Atemschutzmasken für die Bevölkerung. Er widerspricht sich da sogar selbst, ohne dass die Germanistin Korinna Hennig dem kritisch nachgeht: Er sagt einerseits, diese Masken seien unwirksam, andererseits fordert er diese Masken wegen ihrer Schutzwirkung exklusiv für das Krankenhauspersonal. Er benennt die Lieferschwierigkeiten, schiebt aber die Verantwortung dafür nicht auf staatliche Stellen und deren Versäumnisse sondern auf uns, die wir uns jetzt schützen wollen. Hier spricht dann nicht mehr nur der Wissenschaftler sondern jemand, der der Regierung nicht auf die Füße treten will.
Des weiteren benennt Drosten seine Konkurrenz zu den Epidemiologen (er selbst ist ja Virologe). Er wirft ihnen vor, darauf erpicht zu sein, ihre Datenmodelle möglichst schnell mit verfügbaren Daten füttern zu können, deren Ergebnisse sie dann an wissenschaftliche Journale senden können. Er bezeichnet das sogar als Modeerscheinung. Stattdessen fordert er die Praxis der "aufsuchenden Epidemiologie", die direkt an Patienten und Kontaktpersonen testet. Und genau das macht ja Prof. Streeck mit seinem Team in Heinsberg.
Christian Drosten
.. Weiter und weiter gedacht, hat man es hier dann doch mit einer dramatischen Exponentialfunktion zu tun. Das ist aber ein sehr theoretischer Wert, der sich aus frühem Datengut erheben lässt. Aus wenigen schon bekann- ten Patienten kann man das ableiten. Und man muss nicht sehr systematisch epidemiologisch aufsuchend arbeiten. Also man muss nicht ganz systematisch die Patienten anschauen, sondern man kann das aus indi- rekten Daten, aus gemeldeten Daten ableiten.
Das hat einen unglaublichen wissenschaftlichen Charme für Krankheitsmodellierer, die nicht selber epidemiologisch tätig sind, sondern nur eine Weiter- verwendung von veröffentlichten Daten betreiben. Und wir haben in der Infektionsepidemiologie praktisch schon eine Modeerscheinung, dass die ersten gemel- deten Zahlen immer gleich von solchen Krankheits- modellierern genommen werden, um sie in schnelle wissenschaftliche Veröffentlichungen umzuwandeln, um diesen magischen Wert R0 zu ermitteln.
Man muss dazu sagen, das ist natürlich erst mal so ein gewisses Geschäftsgebaren in der Wissenschaft. Jetzt haben alle Angst, und da sind die großen Wissen- schaftsjournale ganz empfänglich für die schnellen Paper.Inhaltlich auf Distanz zu den Grünen geht er dann beim Vergleich mit der Influenza. Hier kritisiert die große Lücke zwischen einer eigentlich benötigten Impfrate von 70% und der weitaus niedrigeren in der Praxis. Bei den Grünen tummeln sich ja viele Impfgegner und es könnte der Grund sein, warum sich die Grünen in dieser Diskussion so zurückhalten: Die Verfügbarkeit eines Impfstoffes für das neuartige Coronavirus ist ja einer von drei Hoffnungsträgern, neben heilenden Medikamenten und einer sich ausbildenden Immunität.)
Auf Nachfrage gibt Drosten dann zu, dass die Impfmüdigkeit teilweise (Grüne sagen stets: "ein bisschen") durch eine breite Grundimmunität der Bevölkerung kompensiert werde.
Quelle: NRD Podcast 2, 27.2.2020
Was ich dann überhaupt nicht verstehe ist, warum Drosten für die Abschätzung der Fallsterblichkeit Zahlen aus den bis dato großen Epizentren China und Iran beiseite lassen will:
Und das ist bei diesem Virus so, dass ungefähr ein halbes Prozent Fallsterblichkeit vorliegt, zumindest nach Daten, die man für sich selbst bereinigen kann. Da muss man einige Korrekturen anstellen.Sollte man nicht stattdessen die realen Infektionsherde nutzen und dann versuchen, die Datenbasis zu verbessern? Gibt es da keinen Austausch unter Virologen, sei es bilateral oder in Arbeitsgruppen und Gremien? Er sagt selbst, die Iraner kämen auf ihn zu. Täten sie es nicht, hätten wir also keinen Austausch?
Zum Beispiel man muss erst mal alles rauslassen, was aus China kommt. Die chinesischen Zahlen sind auf mehrere Arten gefärbt, also wenn man jetzt wirklich eine Fallsterblichkeit für sich schätzen will, dann muss man die chinesischen Zahlen leider im Moment rauslassen. Dann ist es auch so, dass wir außerhalb von China schon ziemlich viel Fälle haben. Und was ich da im Moment mache, ist, dass ich auch die Fälle aus dem Iran streiche, weil es praktisch sicher ist, dass
im Iran die milden Fälle gar nicht erkannt werden, und weil es praktisch sicher ist, dass im Iran keine ausreichenden Diagnostik–Kapazitäten bestehen.
Das weiß ich nicht nur deswegen, weil für die Zahl der erkannten Fälle die Zahl der Todesfälle im Iran viel zu hoch ist in den Statistiken. (Die Toten fallen auf und die milden Fälle überhaupt nicht.) Ich weiß es aber auch deswegen, weil wir aus dem Iran ständig kontaktiert werden, mit der Bitte um technische Unterstützung oder um Beantwortung von Fragen hinsichtlich von Diagnostiktests. Und da sehe ich, dass ganz viele Labore im Iran das noch nicht können oder ganz am Anfang erst stehen.
Und auch das RKI kriegt zu dieser Zeit, in der sich die Hackordnung der Virologen ausprägt, von ihm noch einen mit:
Korinna HennigStichwort „Zahlen“. Das Robert Koch Institut hat gestern von ein bis zwei Prozent Wahrscheinlichkeit gesprochen, am Corona–Virus zu sterben.Und es ist doch genau die Initiative, die Laschet und Streeck ergriffen haben: Den Herd im eigenen Land mal gründlich zu untersuchen und früh eine Debatte anzustoßen. Streeck ist der Projektleiter vor Ort, Drosten ist der Nerd, der zwischen Schreibtisch und Talkshows hin und her wandert.
Christian DrostenDas Robert Koch Institut ist da in einer misslichen Lage. Das ist ein nationales Public Health Institut.
Die können nicht einfach, wie ich so als Universitätsprofessor, mal ganz nassforsch sagen: Ach, die Zahlen, die lassen wir mal weg. Und das hier wird auch wohl nicht stimmen. Und aus dem Rest ermitteln wir uns jetzt mal eine Fallsterblichkeitsrate, und da peilen wir mal so ein bisschen über einen Daumen. Das Robert Koch Institut ist ja eine Behörde. Die muss ja sagen, hier sind nun mal gemeldete Zahlen.
Und dann kommt eine Einschätzung von Drosten, mit der sich meiner Meinung nach aus der Umlaufbahn schießt. Die Frage, wie er selbst derzeit mit dem Risiko umgehe:
Christian DrostenJa, also, ich kann Ihnen vielleicht sagen, was ich mache – oder auch meine Familie und mein Freundeskreis:Ich fasse zusammen:
nämlich gar nichts. Es gibt im Moment überhaupt keinen Grund, irgendetwas zu machen oder sich irgendwelche Sorgen zu machen. Ich mache mir schon Sorgen über die Pandemie. Ich mache mir auch Sorgen über ein halbes Prozent Fallsterblichkeit und erst recht, wenn ich dann noch weiter rechne, dass
es vielleicht doch mehr als ein halbes Prozent, zum Beispiel ein Prozent, sein könnte – dann mach ich mir plötzlich große Sorgen. Aber die Sorgen, die ich mir mache, die mache ich mir nicht in meinem Alltag in den nächsten Wochen und Monaten, sondern mir geht es darum, was eigentlich so ungefähr in einem Jahr passiert. Also nächstes Jahr um diese Zeit, wo sind wir dann? Was kommt nach dem Sommer im Winter 2020 auf uns zu?
Drosten selbst erwartet eine kommende Pandemie. Er muss aus etlichen Quellen, eigentlich Allgemeinbildung in seinem Fach, den Verlauf kennen. Und vor allem die Bedeutung eines frühen Eingreifens um es gar nicht erst zu einer Pandemie kommen zu lassen. Das kann er aus dem Risikobericht für den Bundestag 2012 wissen, er könnte Albert Camus gelesen haben, aber vor allem hat er sich ja mit dem SARS Virus beschäftigt. Aber offenbar interessiert ihn das alles vor allem aus virologischer Sicht, also die Erforschung des Virus selbst. Es ist eigentlich schon eine falsche Medienstrategie, mit ihm eine solche Podcastreihe aufzulegen. Deshalb war es gut, dass MDR und BR schnell nachzogen mit ihren Interviews mit Streeck ("Daily Streeck" bei IQ Wissenschaft) und Keule ("Kekulas Corona Kompass" beim MDR).
Streeck betreibt nebenbei auch einen Twitteraccount. Dabei weiß man doch, wie zeitraubend Medienarbeit ist. Und genau deshalb kann man verstehen, dass Prof. Streeck in seinem Heinsberg Projekt da so wenig Zeit wie möglich aufbringen will. Er hat wenig Zeit und alle Hände voll zu tun. Eine PR-Agentur kommt auch nie auf die Idee a la Drosten zu sagen: Mir wird das jetzt alles zu viel, wenn das nicht aufhört mit den kritischen Fragen höre ich auf.
Das darf nur Drosten. Genau das macht er ja jetzt mit Streeck: Er hat "viele Fragen" an ihn während dieser bis zur Halskrause in Arbeit steckt.
Rückblickend kann man vielmehr sagen: Seine vorsichtigen Einschätzungen und die Vermeidung irgendwelche Handlungsforderungen an die Politik haben sich für ihn ja ausgezahlt. Die Bundesforschungsministerin ernannte ihn zum Leiter des neuen Forschungsnetzwerks.
Und es ist sicher kein Zufall, dass es da im vorigen Jahr eine Kooperationsvereinbarung mit der Bill & Melinda Gates Stiftung über die Erringung einer "Germany's Leadership in Global Health" der Bundesrepublik gegeben hat. Der Foliensatz des Kickoffs ist öffentlich bei der Charite abrufbar unter folgendem
Link: Charite
Und da liest man aus der Feder von Bill und Melinda und der Boston Consulting Group (aus welchen Mitteln eigentlich bezahlt?) vertraute Merkelpolitik: Selbstlose deutsche Heilsbringung für die Welt:
Germany has shown great political commitment to global health at the highest level over the past years. During the German G7/G20 Presidency, Chancellor Angela Merkel placed global health at the top of the agenda and gave important impetus for a stronger and strategic German engagement.Wer jetzt also angesichts einer Diekmann - PR-Agentur die Stirn runzelt, könnte ja auch mal nach den Netzwerken von Drosten Untersuchungen anstellen. Wenn das nicht zu viel verlangt ist.
In addition to the consolidation of the topic in the coalition agreement and the establishment of „Global Health Hub Germany“ by the Federal Ministry of Health in February 2019, a new “Strategie der Bundesregierung zu Globaler Gesundheit” will be developed by the end of 2019.
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